Die Publikation findet ihr im Heft 3/2022 der RHZ, Seite 24-26
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Wandmalerei im besetzten Rektorat (22.02.2021 –11.03.2021)
„Unser Guernica: 18 Tage Sauerstoff. Die Tage, an denen wir das Unmögliche gewagt haben, an denen wir in der Finsternis Raum geschaffen haben um zu atmen. Die Tage an denen das Bedürfnis zu leben stärker war als jede Hemmung. Und als jede Repression. Die Tage an denen unsere Stadt zum Schachbrett wurde. Die Tage an denen unsere Pinsel auf ihren Wänden mehr krachten als ihre Stöcke auf unseren Körpern. Diese Tagen waren unsere und das war unser Fußabdruck.“
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Im späten Mai kulminierte die Repressionsorgie der letzten Monate an der Uni Thessaloniki. Bei Krawallen mit MAT (Bereitschaftspolizei) und OPKE (Spezialkommando der Polizei) wurden zwei Studenten mit Blendgranaten aus einem Abstand von einem Meter gezielt an den Kopf geschossen. Bei beiden ist es nicht sicher ob sie wieder hören werden können und der eine wird für die nächsten 7 Wochen wegen akuten Kinbrüchen nicht mal essen können. Obwohl dieses Erreignis krass erscheinen mag, war es nicht besonders außerhalb des studentischen Alltags in Thessaloniki. Im ganzen letzten Jahr kam die Polizei „durch die Hintertür“ immer häufiger in die Uni. Letzten Frühling war es wegen der Pandemie, wo die Student*innen versucht haben die Uni unter strengen Maßnahmen für den Präsenzunterricht wieder zu öffnen. In Reaktion zur Polizeigewalt fand dann eine kurzzeitige Besetzung des Rektorats statt, bis der Rektor eine Stunde vor dem angekündigten Ende der Besetzung die Polizei bestellte, die prompt Blendgranaten ins Innere des Gebäudes warf um die Student*innen rauszuräuchern. Eine nächste Kulmination kam letzten Herbst inform eines Bauzettels vor dem historischen 34 Jahre bestehenden selbstverwalteten Café der biologischen Fakultät. Es sollte abgerisssen werden um Raum für eine neue Bibliothek zu machen. Da die zentrale Bibliothek der Uni so verfallen ist, dass das Regenwasser durch die Decke eindringt und ihr Budget so klein ist, dass sie nicht mal über Liszenzen für wissensschaftliche Zeitschriften verfügen kann, sollte es klar sein, dass es nicht um die Bibliothek ging, sondern um die Zerschlagung der studentischen Bewegung. Das Café wurde im Dezember schließlich in der üblichen Weise geräumt und die Polizei hat die Innenräume zerstört und mit Vorschlaghammern teils abgegbaut um eine Wiederbesetzung und weitere Nutzung zu verhindern, während diese Zerstörung den Studenten vorgeworfen wurde. Als das Theme den parlamentarischen Diskurs erreichte, wollte sich der Premier auf die „richtige Seite der Geschichte“ stellen und die Brutalität mit einem faktisch nicht existenten Dilemma legitimieren : „Man ist entweder mit der Bibliothek, oder mit dem Vorschlaghammer.“ Seitdem haben die Polizisten die Uni-Thessaloniki besetzt. Spezialkommandos und Bereitschaftspolizei partouillieren im Campus wo sie oft unanlässlich zu Auseinandersetzungen mit Student*innen, Professor*innen und Personal kommen, die immer zu Verletzungen letzterer führen, während die Geheimpolizei nach „Schlüsselpersonen“ sucht und die Organisation sowohl der Student*innenen alsauch des Personals spioniert. Thessaloniki wurde dabei zu einer Festung umgewandelt mit tausenden von Polizisten aus der ganzen Umgebung samt Panzerautos und Wasserwerfern. Im Mai, wo die Proteste und Streike zu den steigenden Lebenskosten und der rasenden Verarmung kulminierten, steigerte sich auch die Brutalität der Polizei mit dem Segen des Rektors und der Regierung gegen die solidarisierende Studierendenschaft. Anlässe wurden dabei schlicht und einfach konstruiert oder durch polizeiliche Provokateure gegeben. Tausende gelangten ins Krankenhaus mit jeder Menge Verletzungen und Knochenbrüchen und manche mit permanenten Schäden.
Uni-Thessaloniki im Kontext
Während dieser Zeit haben die Medien eine Diffamierungskampagne gegen die Student*innen und die öffentlichen Universitäten geführt, als Orte der Rechtslosigkeit und der Kriminalität, haben die Polizeiarbeit gepriesen und für notwendig erklärt und sämtliche Schuld auf die Student*innen geschoben. Sie sprachen von gemeinen Kriminellen, die lieber zerstören, als eine Bibliothek bauen lassen, die immer zuerst die Polizei angreiften, die sich wiederum heroisch währen musste, von „wütigen zerstörerischen Sturmangriffen seitens der Student*innen“, wenn es um Farbaktionen ging, von „professionellen theatralischen Verletzten“, wenn es um Jugendliche mit möglichen permenenten Gesundheitschäden ging. Doch die Student*innen waren in ihren Kämpfen nicht alleine. Sowohl die Professor*innen alsauch das Personal haben sie unterstützt, ab und zu von den Polizisten gerettet und ihre Stimmen gegen die Polizei im Campus gehoben. Die Solidarität kam nicht nur von ihrer Uni sondern aus dem ganzen akademischen Sektor. Thessaloniki stellte zwar jetzt den Schauplatz der Regierungsintrigen wegen des „freundlichen“ Rektors, aber solche Vorfälle haben sich in allen griechischen Universitäten deutlich vermehrt, seit die Regierung an die Macht kam. Direkt mit ihrem Eintritt hat sie das Universitätsasyl, ein Gesetz, was unter anderem besagte, dass die Universitäten nur unter Beschluss des Senats von Behörden betreten werden durften, abgeschafft. Das war ein großer Tabubruch wegen der Verbindung des Asyls mit der Befreiung von der Junta und hat den Weg breit gemacht für das Ende der Autonomie der Universitäten und der freien Zirkulation von Ideen ohne den äußeren Einfluss von Staat und Kapital. Mit der Repression haben sie auch keine Zeit verloren. Allein dieses Jahr wurden 8 selbstverwaltete studentische Strukturen geräumt und über 200 Student*innen bei Auseinandersetzungen innerhalb der Universitäten verhaftet. Weitere Gesetzesänderungen im letzten Jahr haben die Situation der kostenlosen öffentlichen Bildung verschärft, von der Schule, mit der Verdopplung der Religionsstunden, der Halbierung des naturwissenschaftlichen Unterrichts, der Streichung aller soziologischen Fächer, bis schließlich zur Uversität selbst mit der Privatisierung der Wohnheime und Mensen und der Streichung der gratis Skripte und Bücher für Student*innen, der Einführung von Rechercheaufträgen an die Uni aus dem Privatsektor, eines Verwaltungsrates über dem Senat, wo auch universitätsexterne, das heißt von der Regierung gestellte, Mitglieder sitzen, und letztlich auch der Universitätspolizei, von der die ersten Einheiten jetzt schon trainiert sind und ab September in vier großen Universitäten des Landes in den Einsatz gehen. All das kulminierte und fasste sich zusammen in dem Gesetz 4777 oder den „Rahmen für eine allumfassende Bildungsreform“
Die Universitätspolizei und das Gesetz 4777
Wie man vielleicht schon einsehen kann, haben die Tabubrüche und die Provokationen seitens der Regierung System und klare Ziele. Ersichtlich wurde es letztes Jahr, als der Gesetzesentwurf für einen neuen Polizeikörper mit klaren Aufgaben nur innerhalb der Universitäten die Öffentlichkeit erreichte. Demnach sollen Reviere für diese ‚Universitätspolizei‘ innerhalb der Campus errichtet werden, die von Tausenden neu anzustellenden Polizist*innen bemannt werden. Diese sollen im Eilverfahren ausgebildet werden, um die Rechtsordnung innerhalb der Universität zu bewahren. Dabei ist eine vorherige Aufforderung oder Einladung vom Universitätspersonal nicht erforderlich. In der Praxis werden diese staatlich alimentierte Schlägertruppen die Befugnisse haben, jedes Verhalten entsprechend zu rügen, das nicht in ihr verengtes und hinterbliebenes Weltbild passt.
Die öffentliche Debatte zu diesem Gesetz erweckt ähnliches Interesse wie dessen Inhalt. Die Regierung ruft das Ende der ‚rechtsfreien Räume‘ innerhalb der Universitäten aus, während sie die Maßnahme fälschlich als gängige Praxis im ‚zivilisierten und fortschrittlichen‘ Westeuropa und Nordamerika darstellt. Die Positionierungen etlicher Hochschulorgane von Lehr- sowie Verwaltungsangestellten gegen eine Universitätspolizei werden medial unter den Teppich gekehrt. Gleichzeitig werden Tatsachen und Anlässe geschaffen, die durch ein Klima des Entsetzens mehr Zuspruch in der Bevölkerung hervorbringen sollen. Die Szenen der Kämpfe zwischen Polizei und protestierenden Student*innen in Thessaloniki wurden bspw. klar dazu instrumentalisiert. Und all dies hat auch die erwarteten Früchte getragen: das Gesetz ist schon im Parlament gewählt und von den Verfassungsorganen bestätigt worden, folglich ist die Implementierung dessen gesichert.
Doch die Universitätspolizei ist nur Mittel zu einem größeren, umfassenderen Zweck. Sie soll nämlich den Weg für eine große Reform in der höheren Bildung ebnen. Im Straßenwalzenprinzip soll ein Gesetzesentwurf einen Kulturwechsel unter dem Deckmantel der Anpassung an ‚internationale Standards‘ (sh. Bologna-Prozess) vollbringen. Zum einen wird der Hochschulzugang erschwert, indem die jährliche Aufnahme von neuen Studierenden gesenkt wird. Zum anderen werden Abschlüsse von privaten Einrichtungen mit denen von staatlichen Universitäten gleichgesetzt. Der Vormarsch des privaten Sektors in die Universitäten wird noch dazu mit sog. „industriellen“ Masterstudiengängen und Promotionsverfahren gewährleistet, sowie mit der Neu-Strukturierung der Hochschulführungsorgane in ‚Aufsichtsräten‘ mit der Teilnahme „externer Persönlichkeiten“. Dass es zu einer Entwertung der gratis staatlichen Bildung führen wird, ist auch durch die Schließung bzw. Fusionierung universitärer Einrichtungen schon sichtbar. Die starke Regulierung der Wahlen studentischer Vertreter ist ein weiteres ‚Must-have‘ für jene neue Realität, die dieses Gesetz zu kreieren versucht. Manche der o.g. Aspekte mögen den Verhältnissen in der BRD entsprechen, jedoch ist hierzulande Bildung „Ländersache“ und somit dezentral; im Gegenteil wird Griechenland zentralistisch regiert und solche Reformen werden flächendeckend und gleichzeitig implementiert, was in dem Fall einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel in Richtung Neoliberalismus (auch) in der Bildung bedeutet.
Die vorstehenden Ausführungen zeugen von den Plänen der Regierung für diese neue Form und Rolle der Hochschulbildung, die bei ihrer Verwirklichung im Wesentlichen die letzte Rhapsodie in der Saga der Abwertung und Fragmentierung der öffentlichen Hochschulbildung der letzten Jahrzehnte verkörpert.
Wie stellen sich also die herrschende Klasse und der griechische Staat die jetzt berüchtigte “Wirtschaftsuniversität” vor und welchen Zwecken und Bedürfnissen soll sie dienen?
“Unternehmertum”
Das Bildungsgesetz und die Darstellung dieses Themas in den Medien führen zur sicheren Schlussfolgerung, dass die Universität nicht mehr eine rein staatliche Struktur der Bildung, Dokumentation und Abgrenzung der beruflichen Rechte der Absolventen sein wird, sondern eine komplexe Struktur der massenhaften wirtschaftlichen Ausbeutung und internen Kategorisierung von Student*innen und Absolvent*innen durch das so genannte Unternehmertum, durch die Verbindung des öffentlichen Hochschulwesens mit Unternehmen und multinationalen Giganten, zum Beispiel durch die Finanzierung von Aufbaustudien und die Gründung einer neuen Universität. Die bereits bestehenden Ausnahmeregelungen(καθεστως εξαιρεσης) für Studierende, die nicht aus bourgeoisen Familien kommen, werden verschärft, was den Konkurrenzkampf verschärft und fördert und somit eine klare Klassenschere in der Hochschulbildung schafft. Die für Studenten unmenschlichen und für die durchschnittliche griechische Familie sehr teuren panhellenischen Aufnahmeprüfungen in Verbindung mit der erneuten Verringerung der Zulassungszahlen und den nicht vorhandenen Möglichkeiten für eine angemessene berufliche Wiedereingliederung auf dem Arbeitsmarkt werden es diesen Menschen unmöglich machen, ein Studium aufzunehmen. Das Hauptkriterium für die Zulassung zu den Universitäten wird nun die finanzielle Situation der Familie des Bewerbers sein. Die jüngste Anerkennung der Gleichwertigkeit der zweifelhaften Qualität der Abschlüsse privater amerikanischer Colleges in Griechenland mit den entsprechenden Abschlüssen der öffentlichen Universitäten bestätigt das Gesagte. Es ist natürlich kein Zufall, dass viele dieser Hochschulen in direktem Bezug zu Mitgliedern der Regierung stehen und von diesen beworben werden.
Kurz gesagt, die Hochschulbildung wird sich von einem Ort des Wissens, der Suche, der Forschung, der Gärung und der Sozialisierung in eine Simulation eines Unternehmens mit einem Galeeren-Arbeitsregime und dem Hauptziel der Produktion von billigen und leicht manipulierbaren Arbeitskräften,die überwiegend aus der herrschenden Klasse kommen, ihr dienen und sie bereichern, verwandeln.
„Ordnungsmäßigkeit“
Für den Staat im Neoliberalismus ist die Universität nicht nur der höchste Grad der bürgerlichen Bildung, sondern auch die höchste Ebene der Konsolidierung der herrschenden Ideologie und der hierarchischen sozialen Organisation. Dies setzt voraus, dass jede Form der kollektiven Selbstbehauptung, des politischen Dialogs und der politischen Meinungsäußerung im universitären Raum vollständig beseitigt und kriminalisiert wird, wodurch die Universität ihrer wichtigsten Rolle beraubt wird. Jegliche Kritik an der herrschenden Ideologie und der hierarchischen und autoritären Organisation der Universität wird exemplarisch bestraft und gilt als unsinnig und gesellschaftsschädlich. Kurzum, es ist das beste Mittel, um alles zu demontieren, was die Politik der aktuellen Machtinhaber stört, ihr entgegensteht oder sie bedroht.
Die Regierung Mitsotakis hat seit ihrer Wahl systematisch und methodisch versucht, die oben erwähnten Ziele mit Hilfe von Propaganda und Repression zu erreichen, ein echtes Kind der Chicagoer Schule.
Die Medien erwecken den falschen Eindruck von “Gesetzlosigkeit und Chaos” in der griechischen Universität und deklassieren und kriminalisieren in den Augen der Gesellschaft jede Aktion, Gruppe oder Bewegung, die die gerechten Forderungen der Studierenden, Lehrenden und Beschäftigten im Hochschulbereich verteidigt und sich gegen die ständige Gewalt, der sie ausgesetzt sind, wehrt. Die ständige Desinformation legitimiert auf gesellschaftlicher Ebene absichtlich jede Art von Straffreiheit der Repressionskräfte, indem sie auf die Notwendigkeit ihrer Anwesenheit besteht, , und so den Polizeibeamten das Gefühl gibt, dass sie unabhängig von den von ihnen begangenen Verbrechen vor jeder Kontrolle und jedem Gesetz geschützt sind.
Die Maßnahmen der Regierung Mitsotakis in Bezug auf die Wirtschaftsuniversität und die aktuellen Ereignisse schließen nicht aus, dass dieses Modell verallgemeinert und auf die nationale Ebene übertragen werden kann. Das Arbeitsgesetz, die Gentrifizierung von Stadtvierteln wie Exarchia und die Vertreibung der Bewohner, die Umwandlung des Athener Zentrums in ein reines Touristenzentrum, die allgegenwärtige und rücksichtslose Repression und die Gleichgültigkeit der Regierung gegenüber den Bedingungen in den Gefängnissen und den Rechten der Gefangenen haben die gleichen Ziele wie das Projekt der Unternehmensuniversität:
Der Eintritt in eine neue Form von Kapitalismus, die Erfüllung der politischen Zweckmäßigkeit, Wahlmanipulationen und die Zerstörung aller großen Siege der sozialen Bewegungen des letzten Jahrhunderts.