Redebeitrag zur Verbrennung von Moria beim SoliCamp HD

Am Samstag den 19.06.2021 versammelten sich um die 50 Menschen nach einem Aufruf von SoliCamp HD auf dem Heidelberger Universitätsplatz um über die Situation von Geflüchteten an den EU-Außengrenzen zu berichten und über die menschenverachtende Verhältnisse zu protestieren. Die Beiträge schilderten die humanitäre Dimension ausreichend und wir haben die Gelegenheit unseres Redebeitrags dafür genutzt, die politische Dimension hervorzuheben.

Liebe Genoss*innen,

Letzten Freitag wurde der Prozess für die Verbrennung von Moria hinter geschlossenen Türen durchgeführt. Wir als Gruppe haben keinen Unterschied zu den Dutzenden an vorherigen Prozessen gegen Migrant*innen erwartet. Prozesse, wo die Angeschuldigten nur Platzhalter für ein schon im Vornherein entschiedenes Urteil sind, wo die Schuld durch Rasse und Stamm vorausgesetzt ist. Prozesse, wo sie beweisen müssen, dass sie unschuldig sind, indem sie nicht mal die Sprache verstehen können, mit „Zeugen“, die entweder gekauft werden, oder selbst für die Entstehung dieser Verhältnisse schuldig sind. Nichts anderes als ein Ausweg, wohin der Staat versucht, den Frust und das Elend seiner eigenen Gesellschaft zu richten, im Namen einer vermeintlichen Gerechtigkeit.

Dieses Mal wurden 6 minderjährige sogar als Erwachsene vor Gericht gezerrt, mit großer Polizeipräsenz, während Journalist*innen und internationale Beobachter*innen mit dem Vorwand der Pandemie ausgeschlossen wurden, obwohl das Land für den Tourismus massiv gelockert hat. Und der Hauptzeuge der Anklage? Ein Mann aus dem gleichen Land wie sie, aber aus einem unterschiedlichen Stamm, der direkt nach seiner Zeugenaussage Asyl erhalten hat und irgendwo nach Athen verschwunden ist. Dementsprechend war er am Prozess natürlich nicht anwesend.

Obwohl jetzt die 6 Jugendlichen in diesem Schamprozess mit 10 Jahren Haft verurteilt wurden, sind die wahren Schuldigen anderswo zu suchen. Es ist der Staat, der überhaupt diese modernen Konzentrationslager hat bauen lassen. Die leeren Versprechen für die „Verbesserung der Lage“ und eines insgesamt besseren Lebens im „Europa der Menschenrechte“, stimmen mit der Realpolitik der überfüllten verachtenden „Müllhalden“ für Menschen nicht überein, die als „Vogelschreck“ der „Festung Europa“ zur Abschreckung der Neuankömmlinge dienen. Diese Taktik geht viel weiter in die Vergangenheit als die letzten Geflüchtetenwellen. Zwischen 2003 und 2009 war in Lesbos die sogenannte „Hölle“ von Pagani in Betrieb, ein Migrant*innengefängnis, dessen Verhältnisse viele offizielle und inoffizielle Institutionen kritisiert haben, ohne dass der Staat praktisch was dagegen gemacht hat, bis es dann auch wie Moria in einem großen Aufstand brannte.

Pagani wurde von Moria ersetzt und die Geflüchteten werden immer noch für jede staatliche kleinpolitische Kaprize und für jedes geopolitische Spiel instrumentalisiert. Doch, wenn sie, trotz allem, Widerstand leisten, werden sie durch massive Repression zurück auf ihre Rolle verwiesen, indem sie systematisch beschuldigt und ausgegrenzt werden. Dieses Bild der „willenlosen passiven Fleischsäcke“ wird so intensiv kultiviert, dass es die Gesellschaft nicht wahrnehmen kann, dass allein die Enttäuschung der Geflüchteten für die Verbrennung von Moria ausreichend war. So werden sie, sowohl von Unterstützern als auch insbesondere von Gegnern infantilisiert und man fixiert sich auf die Suche nach Kollaborateuren.

Das parallele Feindbild der „von Natur her kriminellen Ausländer“ spielt direkt auf die existentielle Angst der krisengeschüttelten kollabierenden griechischen Gesellschaft und bietet den besten Anlass für weitere von Europa geförderten Repressionsmaßnahmen. Viel gefährlicher sind diejenigen gutbürgerlichen Alltagsmenschen, die sich so verhalten, „wie es sich gehört“. Diejenigen die diese Fassaden mit der Akzeptanz der Gesellschaft und der Politik verewigen, während sie selber gewalttätige rassistische und sexistische Überfälle bis zu Femiziden begehen, wie letztlich in Athen. Wir wollen aber diese Fassade abbauen und die Menschen Morias und anderer Lager, als solche wahrnehmen. Und sie hatten genug. Genug Ausbeutung, genug Vertreibung, genug Folter. Und genug ist genug.

KONZENTRATIONSLAGER WERDEN NICHT DURCH VERSPRECHEN VERSCHÖNERT; SONDERN MIT AUFSTÄNDEN DEMOLIERT!!!

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