Kontrolle auf allen Ebenen – Die Lage und Repression von Journalismus in Griechenland

Die Publikation findet ihr im Heft 4/2022 der RHZ, Seite 37-38

————

Eine Karrikatur von Giorgos Mikalef aus dem Kalender der unabhängigen Zeitung “The Press Project”
Übersetzt steht darunter: “Das Zensurkomitee warnt: Pressefreiheit schadet der Gesundheit!!!”. 
In den Sprechblasen von oben nach unten:“Schere! Schere! / Zement! Zement! / Pistole! Pistole!”

Der griechische Premier Konstantinos Mitsotakis hatte 2017 (vor seiner Amtszeit) in einer Pressekonferenz zu einer Frage eines Journalisten über die Durchsetzung eines konkreten Punktes in seinem Parteiprogramm, sollte seine Partei die Regierung übernehmen, so geantwortet: „Mich interessiert die Kommunikation, nicht das Wesentliche. Ich habe nicht darüber gedacht“. Die erste Hälfte dieser Aussage hat sich als prophetisch für seine Amtszeit ab 2019 herausgestellt. Sein erster Akt als Premier war nämlich, das Sekretariat für Medien und Kommunikation seinem eigenen Büro zu unterordnen und somit den öffentlich rechtlichen Rundfunk und die staatliche Nachrichtenagentur direkt zu kontrollieren.

Was dann über die letzten drei Jahre passierte, war, dass die wichtigsten Informationsmedien des Landes zu Propagandamedien der Regierung wurden. Am Anfang gab es nur wenige Indizien dazu, hauptsächlich, dass wichtige Nachrichten von der (a-)sozialen Gesetzgebung der Regierung bis hin zu Berichten über die Konzentrationslager auf den Inseln, geschweige denn große Streike und soziale Kämpfe extrem spärlich in den Nachrichten zu sehen waren. Die Pandemie war dann der perfekte Auslöser um die absolute Kontrolle der Medien zu erringen. Hinter der Vorwand der COVID-Informationskampagnen und später der Impfkampagnen wurden bis heute insgesamt 45,3 Millionen Euro an verschiedenen Medienanstalten verteilt. Das erste Paket von knapp 20 Mio € wurde als Petsas-Liste bekannt, nach dem Regierungssprecher, der die Liste mit der genauen Verteilung wegen der öffentlichen Aufruhr und nach dem Druck der Opposition veröffentlichte. Die Listen für die anderen zwei Pakete sind immer noch unbekannt. Der Inhalt der Liste war ein klarer Beweis von Korruption und Vetternwirtschaft. Abgesehen von Unsummen an Geld, die an nicht existierenden oder inaktiven Internetseiten verteilt wurden, ging 99% des Geldes an bekannten regierungsnahen Medien, während die Oppositionsmedien fast alle ausgeschlossen wurden. Die Mehrheit der Beförderten sind Seitengeschäfte von größeren Oligarchen, wie Reeder*innen und etliche „Investor*innen“, also war diese Förderung im Prinzip ein inoffizieller Vertrag: Sie verkaufen ihre Dienste an Mitsotakis Propagandamaschine und er zieht sein für sie zugeschnittenes „Reformprogramm“ durch.

Seitdem ist die Büchse der Pandora offen. Es wird allmählich eine parallele Realität geschaffen. Nachrichten werden konstruiert oder verfälscht, die Nachrichtenagentur bekommt direkte Anweisungen, die einmal aus Versehen sogar mitveröffentlicht wurden, welche Nachrichten wie präsentiert werden müssen. Fernsehen und Presse berichten mit exakt dem gleichen Wortlaut, egal welchem Medienunternehmen sie gehören. Falschaussagen und Fehlschläge der Regierung werden als Misere und Populismus seitens der Opposition oder als Missverständnisse dargestellt. Wichtige Fragen werden nicht an die Regierung gestellt, müssen also nicht beantwortet werden. Hauptsache „alles läuft gut unter den Umständen“ und der Staat hat keine Verantwortung für die eigene Politik und Handlung. Willkür und Inkompetenz bei der Pandemie und den Naturkatastrophen werden als konkrete, klar strukturierte Pläne ausgesprochen, die sicher erfolgreich wären, wenn „Gott nicht andere Pläne hätte“. Skandalöse Geheimverhandlungen werden vertuscht, unbequeme Fakten, wie die Rekordzahlen an Corona-Toten, die Pushbacks und die Behandlung der Geflüchteten und Gefangenen, werden totgeschwiegen oder offen geleugnet. Regierungskritik wird kritisiert oder offen angegriffen. Jeder übertausendstarker Massenprotest und jede Widerstandsbewegung werden zu „einem paar dutzend hinterbliebenen Menschen, die immer das gleiche predigen, und keinen Fortschritt wollen“. Opfer von jeder Art von Gewalt werden kriminalisiert, insbesondere wenn diese Gewalt sexualisiert ist oder von der Polizei kommt. Solche ist für sehr viele Menschen die alltägliche und einzige für sie zugängliche „Information“.

In diesem Klima gibt es dennoch einen unabhängigen Journalismus, der von Menschen betrieben wird, die ihre Integrität nicht verloren haben. Ihre Situation allerdings sehr prekär. Mit dem sehr vagen neuen Artikel 191 der Strafgesetzreform von Mitsotakis kann „jeder der öffentlich oder online in irgendeiner Art vorgetäuschte Nachrichten verbreitet, die Sorgen oder Ängste in den Bürger*innen hervorrufen oder das Vertrauen der Bevölkerung an die nationale Ökonomie, das Abwehrpotential des Landes oder die öffentliche Gesundheit erschüttern können“ mit 3 bis 6 Monaten Haft- und zusätzliche Geldstrafe verurteilt werden. Diese Strafen gelten zugleich für die Besitzer und die Redaktion des Mediums. Ohne dass der Inhalt der „vorgetäuschten Nachrichten“ näher spezifiziert wird und da alles, was in der Regierungsnarrative nicht passt, sofort als fake news bezeichnet wird, könnte dieses sogenannte Fake-News-Gesetz benutzt werden, um die Journalist*innen in ihrer Arbeit einzuschüchtern, oder mit langen Prozessen und großen Geldsummen sowohl finanziell als auch physisch und psychisch zu ruinieren. Das einzige andere Land in der EU, das ein ähnliches Gesetz erlassen hat, ist Orbans Ungarn. Abgesehen davon werden Journalist*innen, die sich mit für die Regierung unbequemen Themen wie die Geflüchteten und die Wirtschaftspolitik, aber auch Skandalen und illegale Tätigkeiten von Firmen beschäftigen, möglicherweise überwacht, wie das neulich enthüllte Spionage-Skandal gezeigt hat. Thanasis Koukakis, der zur Beziehung von Politikern und hohen Beamten zu Geldwäsche und Wirtschaftskriminalität und wie die Gesetzgebung der Regierung letztere gefördert haben könnte, recherchiert und Stavros Malichoudis, der Geflüchtetenreportagen macht, wurden aktiv vom nationalen Informationsdienst sowohl mit den üblichen Mitteln, als auch mittels des Spionagesoftware Predator überwacht. Als wäre die Überwachung nicht genug, sind solche Journalist*innen mit unendlichen SLAPP-Klagen (Strategic Lawsuit Against Public Participation = Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung) für ihre Arbeit verfolgt. Direkt nach der Enthüllung des Skandals hat der Neffe und frisch entlassene Sekretär des Premiers Grigoris Dimitriadis die Journalisten Nikolas Leontopoulos, Theodoris Chondrogiannos und ihr Magazin „Reporters United“, die seine Beziehungen mit der Firma, die das Predator in Griechenland verkauft, bewiesen haben, sowie auch den überwachten Thanasis Koukakis selbst, für seine öffentliche Erwähnung dieser Beziehungen angeklagt. Eine vollständige Liste aller laufenden SLAPPs würde den Rahmen des Artikels sprengen, aber um ein paar Beispiele zu nennen: Kostas Vaxevanis und Gianna Papadakou wurden von einigen der Beteiligten Politikern des Novartis-Skandals, eines der größten Bestechungs- und Marktmanipulationsskandalen des 21. Jahrhunderts, allein aufgrund von ihrer Arbeit dazu, wegen Falschmeldung und Verleumdung angeklagt. So auch Stavroula Poulimeni und Tasos Sarantis, die Reportagen zu Umweltschäden in Chalkidiki wegen Goldextraktion und in Lakonia wegen einer Windparkeinrichtung gemacht haben um dann von hohen Funktionären der entsprechenden Firmen Ellinikos Chrysos und WRE-Energy angeklagt zu werden.

Diese Arten von Repression sind für die meisten Journalist*innen einschüchternd genug, damit sie sich mit diesen Themen nicht beschäftigen wollen. Bei dem Rest greift die Regierung zur Gewalt. Wenn ein*e Journalist*in etwas „ungewolltes“ schreiben, sagen oder fragen sollte wird er/sie oft offen getadelt oder sogar bedroht. Der bekannteste Fall war die Frage der holländischen Journalistin Ingeborg Beugel zu den Pushbacks-Lügen an den Premier selbst, die komplett taktlos beantwortet und als nationale Beleidigung wahrgenommen hat. Das hatte im Nachhinein als Folge, dass sie von den Medien heftig verleumdet wurde und nach einem Angriff vor Angst um ihr Leben das Land verlassen musste. Viel offener ist aber die Gewalt gegen Journalist*innen und Fotoreporter*innen bei Protesten, die immer an ihrer Arbeit aktiv gehindert werden. Schon mehrere Dutzende wurden in den letzten Jahren von der kriminellen Gang, die sich Polizei nennt, schwer verletzt, während die teuren Geräte von vielen mehr beschlagnahmt oder zerstört wurden. In manchen Fällen ist das allerdings auch nicht genug um Journalist*innen stummzuschalten. Für diese Fälle gibt es dann Todesverträge. Der bekannte Reporter Giorgos Karaivaz, der vor ein paar Jahren einen riesigen mafiaartigen Zuhälter- und Geldwäschering innerhalb der Polizei mit der Beteiligung von Politikern und Unternehmern enthüllt hatte wurde vor anderthalb Jahren am helllichten Tage vor seinem Haus erschossen. Zur Zeit hatte er Beziehungen zwischen Angehörigen der Regierungspartei und der Mafia recherchiert und hatte sich kurz vor seinem Tod zu vielen Themen geäußert, die nahe an der Funktion des griechischen Staates an sich waren, wie der Fall des Theaterdirektors und Kindervergewaltigers Dimitris Lignadis, der angeblich gute Beziehungen zu den höchsten Funktionären der Regierungspartei hatte. Es gibt bisher immer noch keine Information zu den Ermittlungen seines Mordes.

Schließlich gibt es keine gute Aussichten für die Zukunft des Journalismus in Griechenland. Mit Recht wurde das Land auf Platz 107 in die Liste der Pressefreiheit eingestuft. Die Regierung hat es durch die Medienkontrolle und die Repression unabhängiger Journalist*innen geschafft, ihre parallele Realität zu schaffen und die Inkompetenz der Opposition führt sie zur Ohnmacht. Es ist also eine fast unbestrittene Realität der reaktionären Dreieinigkeit „Familie, Gott und Vaterland“, des „Rechts“ und der „Ordnung“, der „Flüchtlingsinvasionen“ und der „Identitätsverzerrung“, des neoliberalen Individualismus und des fehlerhaften aber erfolgreichen charismatischen Premiers. Ist das Ei der Schlange also schon gehüpft? Unserer Meinung ja und deshalb gibt es keine andere Lösung: WEDER WAHLEN, NOCH DISKUSSION. SOZIALE REVOLUTION.

This entry was posted in Deutsche Texte, Zeitungsartikel. Bookmark the permalink.