Redebeitrag zu den verschärften Arbeitsbedingungen in Griechenland bei der Demonstration „Die Krise an der Wurzel packen!“

Hier findet ihr noch die Begründung warum der 30.4. als Termin für die Demo ausgewählt wurde und dazu noch hier den Bericht und die interessanten Reden der Antifaschistischen Initiative Heidelberg.

Liebe Genoss*innen,

Heute ist ein Tag mit doppelter Bedeutung für Heidelberg und die soziale Bewegung. Es ist ein Kampftag für den Antifaschismus, angeknüpft an dem 1. Mai, den Tag für die Emanzipation der Arbeitenden. Doch der Kampf ist einer, denn sowohl der Faschismus, als auch die wirtschaftliche Ausbeutung sind Erscheinungen desselben Phänomens der Obrigkeit von Staat und Kapital, die auf eine erstickende Kontrolle und Unterwerfung der ganzen Gesellschaft zielen. Wir, die anarchistische Gruppe Fytili – Docht, sind als Zeug*innen der raschen Faschisierung aller Aspekte der griechischen Gesellschaft zusammengekommen und halten die Entwicklungen dort als ein Vorgeschmack der Zukunft für ganz Europa. Deshalb ist es heute für uns wichtig, die Rückkehr des Arbeitsmittelalters in Griechenland anzusprechen.

Die umfassende Arbeitsrechtsreform ist laut der rechtskonservativen Regierung „eine radikale Modernisierung der Arbeitsverhältnisse“, soll „europäische Standards endlich in Griechenland durchsetzen“ und „eine größere Freiheit und Flexibilität für die Arbeitnehmer*innen schaffen“ und „öffnet endlich einen produktiven Diskurs mit der wahren Arbeitswelt anstatt mit Gespenstern aus der Vergangenheit“. So kann sich jeder/jede Arbeitende in diesem Griechenland 2.0 über den flexiblen Arbeitstag mit Stundenkonto und digitaler Zeiterfassung freuen. Das kennt man natürlich auch in Deutschland. Doch das ist nur die Vermarktung eines Gesetzes, das nicht mal im Geringsten die bestehende Arbeitsrealität berücksichtigt. Der griechische Arbeitsmarkt ist durchseucht von Schwarzarbeit, tatsächlichen Hungerlöhnen (3,50 € die Stunde) und hoher Arbeitslosigkeit, während Überstunden nie bezahlt oder schwarz unterbezahlt werden. Deshalb bietet dieses Gesetz die Gewährleistung des status quo und die institutionelle de facto Abschaffung des 8-Stunden-Arbeitstages. In Verbindung mit der Abschaffung des arbeitsfreien Sonntags und der Zuschläge, der digitalen Zeiterfassung, der gesetzlichen Institutionalisierung von Home Office mit der Alleinentscheidung der Arbeitgeber*innen und des ausnahmslos einheitlichen Rentenalters auf 67 Jahren, zielt dieses Gesetz auf die Erweiterung und die Intensivierung der Arbeitszeit auf Kosten der persönlichen Freizeit und der psychischen Gesundheit der Arbeitenden. Die hohe Arbeitslosigkeit von etwa 20% versichert, dass diese „freiwilligen“ Verhandlungen auf die Arbeitenden mit der Entlassungsgefahr aufgezwungen werden, so dass sie sich immer flexibler kaputtarbeiten, ohne das Rückgrat der seit 100 Jahren erkämpften Arbeiterrechte.

Natürlich könnte von einer umfassenden Arbeitsreform eines rechtsextremen Regimes das Thema Sicherheit nicht fehlen. Sicherheitspersonal in „systemrelevanten Sektoren“ werden ab jetzt 40% der Arbeitenden umfassen. Zusätzlich darf der/die Arbeitgeber*in(!) selbst einen Streik für illegal erklären, wenn dieser zu radikal ist oder „psychische Gewalt“ ausübt, während die Besetzung des Arbeitsplatzes und kämpferische Streiks explizit verboten werden. Ferner werden Betriebsräte ab jetzt verpflichtet, die Daten aller ihrer Mitglieder in einem digitalen Register abzugeben, um überhaupt Tarifverträge verhandeln zu können, während ihnen die Schlichtungsrolle entnommen wird, so dass sie diesbezüglich nicht mehr die Arbeitgeber*innen anklagen können. Dies in einem Land, wo Syndikalismus und Arbeitsrechte „Gespenster aus der Vergangenheit“ vom Premierminister genannt werden. Nur als Beispiel wurde während der Pandemie allein ein Arzt vom öffentlichen Gesundheitssystem entlassen. Und zwar ein Mitglied im Betriebsrat eines Krankenhauses, der eine führende Rolle im Syndikalismus des Gesundheitssektors spielt, dessen Einsatz für Pflegepersonal und Infrastruktur während der Pandemie das Regierungsnarrativ der tollen Verwaltung hat kollabieren lassen. Also in einem Klima der Repression und Ausgrenzung für alle soziale Bewegungen, kommt mit diesem Gesetz ein weiterer Nagel auf den Sarg der Arbeiter*innenbewegung durch die erstickende Einschränkung der Mittel zur Erkämpfung von besseren Arbeitsverhältnissen und die Repression vom Basissyndikalismus an sich. Die einzigen Gewinner in diesem Gesetz, sind die Arbeitgeber*innen, die durch weniger Regulierung und „freundliche“ Institutionen erweiterte Freiheit bekommen, um weiterhin ihre Profite auf Kosten der Arbeitnehmer*innen zu maximieren.

Allerdings müssen wir erwähnen, dass sowohl das existierende Arbeitsrecht als auch die neue Reform, wie viele anderen Gesetze in Griechenland ideale Wunschvorstellungen der Verhältnisse sind. Die bittere Realität ist, dass weder jetzt noch künftig alle Regeln eingehalten werden. Was diese Reform viel mehr ist, ist ein Symbol des Sieges des Mitsotakis-Regimes. Eine nach der anderen fallen die letzten Hochburgen einer griechischen “linken Romantik”, die im Weg des europäisch kapitalistischen Wachstums steht. Die studentische Bewegung, durch das Universitätspolizeigesetz, der allgemeine soziale Protest durch die Gigantisierung der Repressionskräfte und als letztes jetzt die Arbeitsrechte. Nach einer absolut gescheiterten linken Regierung fließt das ganz gut ins Dogma der Ordnung und Sicherheit mit ein, wofür die Partei Nea Dimokratia gewählt wurde. Die Zeit der Pandemie, wo sich sozialer Protest schwieriger gestaltet, bietet den besten Anlass, um diesen Wandel praktisch und symbolisch zu vollbringen.

Also ist Solidarität mehr denn je das Gebot der Stunde. Kein Staat wird uns unsere Rechte gewährleisten. Wir brauchen keine neue Peitsche in Form einer Zuckerrübe, sondern einen radikalen Wechsel unserer Mentalität. Lasst uns also gemeinsam in jeder Nachbarschaft und an jedem Arbeitsplatz kämpfen und unsere Zukunft selber schaffen.

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